Dialogische interkulturelle Kompetenz: Was ist das und warum brauche ich das?
Wer bin ich und wer bist du?
Wenn Ihr mit dieser Art von Fragen beginnt, werdet Ihr viel mehr entdecken, als Ihr vielleicht denkt. Nehmt Euch Zeit für diesen Impuls, der Euch neue Perspektiven auf Themen bietet, die für eine befähigende pädagogische Arbeit äußerst relevant sind.
Loslegen
Nehmt für jeden von Euch zwei schöne Zettel.
Sie können weiß oder farbig sein, wie Ihr wollt.
Nehmt nun einen von ihnen und schreibt darauf: „Wer bin ich?"
Antwortet jede:r für sich. Schreibt nur Stichpunkte auf. Ihr habt 5 Minuten Zeit.
Ihr könnt aufschreiben, was ihr wollt. Es gibt kein Richtig oder Falsch.
Und glaubt nicht, dass Ihr alles aufschreiben müsst, Ihr seid mehr als das, was auf ein Blatt Papier passt!
5 Minuten sind um?
Besprecht Euch noch nicht mit Eurem Buddy. Nehmt zuerst das zweite Blatt Papier und schreibt auf: „Wer bin ich gewesen?"
Wählt, je nach Eurem Alter, 3 Jahre, die weit genug voneinander entfernt sind, wie: 2010, 1990, 1970. Oder: 2015, 2005, 1995.
Einigt euch auf Jahreszahlen, die für Euch beide Sinn ergeben.
Fertig?
Geht nun auf eine Zeitreise und denkt daran, wer Ihr gewesen sind. Das heißt: Wer warst Du z. B. im Jahr 2010? Stell Dir Dich selbst für jedes der drei Jahre, die Ihr aufgeschrieben habt, vor und versuche, Dich an Dinge zu erinnern wie: Was habe ich getragen? Welche Worte habe ich benutzt? Was habe ich gern gemacht? Welche Musik habe ich gehört? Was war normal für mich?...
Schreibt zu jedem Jahr Stichpunkte auf.
Ihr habt 7 Minuten Zeit.
Wenn Ihr fertig seid, tauscht Euch darüber aus, was Ihr auf das erste und das zweite Blatt geschrieben habt, und diskutiert gemeinsam: Was sagen Eure Antworten über Eure Identität aus? Was charakterisiert sie?
Schreibt Eure beiden Antworten auf einem Blatt Papier nieder.
Neues entdecken
Identität ist vielschichtig und dynamisch.
Sie ist vielschichtig, denn wir sind nicht nur eine Sache: Wir sind nicht nur ein Geschlecht, ein Beruf, eine Rolle, ein:e (Nicht-)Gläubige:r, ein Elternteil, ein Kind, ein:e gute:r Freund:in, ein (un)geduldiger Mensch, ein Mensch mit bestimmten körperlichen Merkmalen.... wir sind all dies gleichzeitig.
Identität ist dynamisch, da sie sich ständig verändert, auch wenn wir dies nicht von Tag zu Tag, sondern eher von Jahr zu Jahr oder Jahrzehnt zu Jahrzehnt bemerken.
Wie ist das möglich? Denkt an Euch selbst. Wie seid Ihr zu der Person geworden, die Ihr heute seid?
Tausche Dich mit Deinem Buddy aus und schreibt Eure wichtigsten Überlegungen auf.
Wenn Ihr fertig seid, geht es weiter!
Eintauchen 1
Identität ist dialogisch, wir entwickeln sie im Kontakt mit der uns umgebenden Umwelt. Wie Martin Buber sagte: „Ich bin nicht nur ich selbst in dem Sinne, dass ich mich von dir unterscheide, sondern ich bin ich auch wegen dir, ich bin Ich-Du.“ In der Tat sind wir das, was wir sind, nicht nur, weil wir einzigartig geboren werden, sondern auch wegen all der Kontakte, die wir mit der Außenwelt, insbesondere mit den Menschen, hatten. Es gibt Dinge, die uns mehr verändert haben als andere (denken wir an eine Pandemie) oder Menschen, die einen stärkeren Einfluss auf uns hatten als andere (z. B. Eltern, Lehrer:innen...).
Wer wärt Ihr gewesen, wenn Ihr eine andere Familie gehabt hättet, auf eine andere Schule gegangen wärt, eine:n andere:n Lehrer:in gehabt hättet, in einer anderen Gegend aufgewachsen wärt...?
Ihr müsst diese Frage nicht beantworten, aber überlege jetzt gemeinsam mit Deinem Buddy: Was bedeutet das alles für uns in unserer Rolle als Lehrer:in/Erzieher:in?
Schreibt Eure Überlegungen auf.
Eintauchen 2
„Kultur“ ist ein Wort, das wir verwenden können, um zu beschreiben, welche Einflüsse
-
die Art und Weise, wie ich die Welt um mich herum wahrnehme, wie ich sie entschlüssle,
-
die Art, wie ich mich ihr gegenüber verhalte, wie ich meine Botschaften kodiere,
auf uns hat.
Die Kultur beeinflusst uns auf kognitiver Ebene (was wir wissen), auf Verhaltensebene (wie wir Dinge tun) und auf emotionaler Ebene (was wir fühlen).
Seht Euch nun die Notizen an, die Ihr über Euch selbst geschrieben haben.
Wer, wann und wie habt Ihr gelernt, was Ihr wisst, wie Ihr handeln solltet, um Eure Ziele in verschiedenen Kontexten und Situationen zu erreichen, und wie Ihr das Geschehen interpretieren und bewerten könnt?
Zeichnet Euch selbst und schreibt mindestens 7 Kontexte um Euch herum auf, in denen Ihr Euer kulturelles Wissen aufgenommen habt
(z. B. Freundeskreis, Familie, Musikschule, Sportverein...).
Wenn Ihr fertig seid, zeichnet einen der jungen Menschen, mit denen Ihr arbeitet, wählt einen, den Ihr normalerweise durch die Linse einer Kategorie wahrnehmt (zum Beispiel: Nationalität): Welche Kontexte, d. h. Kulturen, beeinflussen sein Sein und seine Entwicklung?
Zeige Deinem Buddy Dein „Kunstwerk“ und diskutiert gemeinsam, welche negativen Folgen die falsche Vorstellung von kultureller Identität haben könnte. Und zwar: Wie wirkt es sich auf mich und damit auf das Kind aus, wenn ich seine pluralistische und dynamische Identität ignoriere und sie nur durch eine ihrer zahlreichen Eigenschaften und Kulturen wahrnehme?
Eintauchen 3
Geschlecht, Migrationshintergrund, Behinderungen, sozioökonomischer Status, Religion - sind Beispiele für Kategorien, die häufig einen Einfluss darauf haben, wie wir jemanden wahrnehmen.
Dies wirkt sich darauf aus, wie wir uns dieser Person gegenüber verhalten, was sogar zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung werden kann.
Bei der Interaktion mit Schüler:innen mit Migrationshintergrund entstehen häufig Vorurteile auf den folgenden drei Ebenen:
- kognitiv: z. B. Erwartung von Kompetenzen, die sie vielleicht nicht haben (Du sprichst sicher Spanisch, da deine Mutter aus Kuba kommt.); Absprechen von epistemischer Autorität (Du bist in einem anderen Land geboren, daher kannst du kein Experte für die Geschichte dieser Stadt sein.)
- Verhaltensebene: z. B. Unterschätzung ihrer Sprachkenntnisse; Unterschätzung anderer Fähigkeiten; Bevormundung (für sie sprechen)
- affektive Ebene: z. B. Verleugnung der eigenen Zugehörigkeit (Sprechen von „wir“ und „du“; Sprechen von „du“ als Ausländer); Identitätskrise: die natürliche plurale Identität wird von der Außenwelt problematisiert; Diskriminierungserfahrungen
Denkt an Situationen, in denen Vorurteile Euer Verhalten oder das Verhalten, das Ihr bei anderen beobachtet habt, beeinflusst haben.
Wählt 1 bis 3 konkrete Beispiele aus, schreibt sie auf und ladet sie hoch, wenn Ihr andere Pädagog:innen zum Nachdenken über Verhaltensweisen anregen wollt, die sie vielleicht selbst an den Tag legen, ohne es zu bemerken.
Ausprobieren 1
Möchtet Ihr Eurer Gruppe dabei helfen, zu erkennen, dass sie alle Gemeinsamkeiten und Unterschiede haben, die über die üblichen Kategorien hinausgehen, mit denen sie sich gegenseitig wahrnehmen, z. B. durch Geschlecht, Nationalität, Religion...?
Bereitet einige Fragen vor, z. B.
- Spielst du gerne Minecraft?
- Hast du jüngere Geschwister?
- Bist du im Frühling oder Sommer geboren?
- Isst du gerne Pasta?
- ...
und bittet die Kinder, sich im Raum zu positionieren. Ihr könnt mit einem Klebeband eine Linie auf dem Boden ziehen, um die binären Antworten zu trennen, oder die Linie als Verbindung zwischen zwei Punkten verwenden und die Kinder sich entlang der Linie positionieren lassen.
Ihr könnt die Kinder, die die gleiche Antwort haben, sich untereinander austauschen lassen oder Ihr koordiniert einen Austausch in der ganzen Gruppe. Denkt Sie daran, am Ende eine Reflexionsrunde durchzuführen. Was hat Eure Gruppe beobachtet?
Der Kern des interkulturellen Dialogs ist die Dekonstruktion von Identität.
Das bedeutet, zu verstehen, dass jeder Mensch keine Kategorie ist, sondern eine Person, die in Abhängigkeit von ihrer Einzigartigkeit, ihrer vielfältigen kulturellen Zugehörigkeit, ihren Erfahrungen sowie der spezifischen Situation, in die sie eingebettet ist, handelt!
Abschließen
Wenn Ihr Eure jungen Leute wiederseht, werdet Ihr Euch sicherlich bewusster darüber sein, wie Ihr sie wahrnehmt und wie Ihr Euch gegenüber den verschiedenen Personen verhaltet. Dieses Bewusstsein kann mit der Zeit abnehmen.
Was wollt Ihr nicht vergessen? Welche Botschaften wollt Ihr an Euch selbst senden?
Schreibt es auf. Steckt diese Nachricht in einen Umschlag. Verschließt den Umschlag und gib ihn Deinem Buddy.
Entscheidet, wann Ihr Eure Briefe austauschen wollen.